Montag, 1. Juli 2019

Was davor geschah...

 Worum geht's?

Bald ist es soweit! Im September startet die erste richtig große Reise meines Lebens. Wie die meisten von euch sicherlich schon wissen (und es sonst durch den Header dieses Blogs erfahren haben)  geht es für mich nach Israel, genau genommen nach Tel Aviv und noch genauer genommen nach Hamat haSharon, was etwas nördlich von Tel Aviv liegt.
Ein Jahr lang werde ich freiwillig in einem 'Home for Life' der Organisation ALUT (Israeli Society for Children and Adults with Autism) arbeiten. Im Kfar Ofarim, meiner künftigen Arbeitsstelle, wohnen etwa 70 erwachsene Menschen mit Autismus, aufgeteilt in Gruppen von sechs bis sieben Personen.
Meine Aufgabe wird es sein, eine dieser Grupppen in ihrem Alltag  zu begleiten. Ich werde die Bewohner wecken, sie, wenn nötig, bei ihrer Morgenroutine unterstützen, mit ihnen gemeinsam essen und mit ihnen ihre Freizeit gestalten. Wie genau alles ablaufen wird, was meine Aufgaben explizit sein werden und welche alltäglichen Herausforderungen auf mich zukommen, weiß ich natürlich selber noch nicht. Ich bekomme von allen Seiten her viele Fragen gestellt, die ich schlicht weg noch nicht beantworten kann, was sich hoffentlich im Verlaufe des Jahres ändern wird.
Dafür gibt es diesen Blog: Um allen Menschen, die zu Hause geblieben sind und mich unterstützen, ihre vielen Fragen zu beantworten und sie mitzunehmen ins heilige Land und ins Kfar.

Meine Entsendeorganisation

Natürlich habe ich mir das Projekt nicht auf eigene Faust ausgesucht. Den Rahmen für meinen Auslandsdienst schafft die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR). Im November 2018 habe ich mich dort mileen-typisch in letzter Minute beworben und es seit dem kein einziges Mal bereut. Die EKiR bietet neben meinem noch viele weitere Projekte weltweit an, in denen junge Menschen ihren Freiwilligen Friedensdienst verrichten können. Sie organisiert ein Vorbereitungs- und Ausreise-, aber auch ein Zwischen- und Rückkehrerseminar und kümmert sich um den ersten Kontakt ins Projekt, sowie die Versicherung.

Besonders wichtig für mich ist allerdings, dass hinter diesen neutralen Begriffen ein unheimlich enagiertes Team steht, bestehend aus zwei Hauptberuflern und einer Menge ehrenamtlichen Ehemaligen, die uns Newbies Fragen beantworten und Sorgen nehmen, ohne zu viel zu verraten.
Entscheidend sind natürlich auch die gemeinsamen Werte.
Wofür das Entsendeprogramm der EKiR steht könnt ihr hier nachlesen, ergibt sich aber zu großen Teilen schon aus dem Namen, dem sie ihrem Dienst gegeben haben, 'Freiwilliger Friedensdienst'.
Wobei Frieden vor allem für ein verständnisvolles, interkulturelles und menschliches Miteinander steht und als Prozess verstanden wird, den jeder aktiv  (mit-) gestalten kann. Und genau das habe ich im kommenden Jahr vor. Was uns zum nächsten Punkt bringt...

Wieso ein FFD? Und wieso Israel? 

Die Motive jedes Freiwilligen sind vermutlich so zahlreich wie Häuser im Bauhaus- Stil in Tel Aviv. Zumeist lässt sich das Ganze jedoch in die Kategorien 'Persönlicher Nutzen' und 'Gesellschaftlicher Nutzen' unterteilen.
Ich als internationale Freiwillige möchte natürlich etwas zur globalen Gesellschaft beitragen, ich möchte Wandel zum Positiven bewirken und mir ist bewusst, dass das im kleinen Rahmen anfängt. In meiner Bewerbung bei der EKiR habe ich geschrieben 'Ich weiß, dass ich in diesem Jahr nicht die Welt oder das Land bzw. die Stadt verändern werde, in die ich reise. Trotzdem möchte ich mithelfen, zuhören und unterstützen. Ich glaube, in einer Welt in der viele alleine stehen, ist es manchmal das Wichtigste einfach da zu sein und zu zeigen, dass der Andere eben doch nicht alleine ist' und diese Worte bringen es für mich immer noch ziemlich genau auf den Punkt.
Veränderung fängt bei den unscheinbaren Dingen an und in einem weltweiten Kontext betrachtet ist dieser FFD sicherlich unscheinbar. Aber für mich ist er es nicht. Und für die Menschen, denen ich meine Arbeitskraft widme, wird er es hoffentlich auch nicht sein.

Warum aber nicht in Deutschland? Immer mehr FSJ- Stellen bleiben auch im Inland unbesetzt, warum also ins Ausland? Hier beginnt der Aspekt 'Persönliches Wachstum durch kulturellen Austausch'. Schon lange treibt mich der Wunsch um, nach der Schule über den mysteriösen Tellerrand zu blicken, von dem immer alle sprechen. Was liegt eigentlich auf der anderen Seite der Erdkugel? Wie gestaltet sich das Leben dort? Ist schwerer oder unbeschwerter?
Ich möchte nicht nur durch meine Aufgaben im Projekt dazu lernen, sondern auch durch die Erfahrung, ein Jahr in einem fremdem Land mehr oder weniger auf mich selbst gestellt zu sein. Ich möchte mehr über mich selber lernen, ungeahnte Fähigkeiten entdecken genauso wie persönliche Grenzen testen, und manchmal treibt einen das in die Ferne. Möglichst weit weg von zu Hause, um die Frage zu beantworten:
Wer bin ich eigentlich, wenn nichts um mich herum so ist, wie ich es gewohnt bin. Für mich geht es darum, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, neue Herausforderungen anzunehmen, neue Menschen kennenzulernen und dadurch neue Blickwinkel zu erlangen.
Dass EKiR mir letztendich das Projekt in Israel angeboten hat und mich nicht etwa, wie ich es mir zu Beginn gewünscht habe, nach Lateinamerika schickt, macht es für mich noch spannender. Auch mein Arbeitsfeld hätte ich mir vor ein paar Monaten so noch gar nicht denken können, zu groß war die Berührungsangst mit Menschen mit Behinderung. Hier liegt für mich also die erste Überschreitung innerer Grenzen, der erste Schritt ins Unbekannte, dem ich mich nun, vor allem nach meiner Hospitiation im Behindertenwohnhaus Brühl gewachsen sehe und aufgeregt entgegenschaue.

Meine Zeit im BWH

Um schon mal ein paar Einblicke zu erhaschen, und uns darauf vorzubereiten, was in unserem Projekt auf uns zu kommt, musste sich jeder der Freiwilligen eine Hospitationsstelle in einer Einrichtung suchen, die ungefähr dem künftigem Aufgabengebiet entspricht.
Nach einigem Hin und Her mit dem örtlichen Autismuszentrum fiel meine Wahl dann doch auf das Behindertenwohnhaus in meiner Stadt und ich bin unendlich glücklich mit dieser Entscheidung, was jeder meiner Freunde und Verwandten bestätigen kann, der sich meine begeisterten Erzählungen anhören musste. Es war meine erste Erfahrung im Arbeitsfeld Behinderung, denn auch privat habe ich keine Vorerfahrungen. Dementsprechend nervös war ich auch, als ich am ersten Tag am Wohnhaus ankam. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich mich in gewissen Situationen zu verhalten hatte und was passieren würde. Würde ich mit den  Bewohnern zurecht kommen? Würde ich mich nützlich machen können?
Doch die ganze Nersosität stellte sich als völlig unnötig heraus. Direkt am ersten Tag wurde ich von Bewohnern wie Betreuern herzlich begrüßt und sofort in den Alltag mit eingebunden. Ich durfte Essen reichen, die Freizeit mit den Bewohnern verbringen und einer Abendroutine beiwohnen. Von allen Seiten bekam ich das Gleiche zu hören: 'Wie, du bleibst nur fünf Tage? Das ist doch viel zu kurz!'.
Und sie sollten recht behalten. Einen guten Eindruck von dem Geschehen in so einer Einrichtung habe ich zwar bekommen, aber viel zu wenig Zeit war es trotzdem, um alle richtig kennenzulernen, und das, obwohl ich noch einen Tag hinten dran gehangen haben. Da ging es nämlich mit sechs der Bewohnern zu den Karl-May-Festspielen in Elspe. Mit drei Rollstuhlfahrern auf dem steilen Gelände durch die Menschenmassen zu manövrieren war echt eine Herausforderung und als wir die Rückfahrt antreten wollten stellten wir auch noch fest, dass einer unserer Busse einen platten Reifen hatte. Viel Durcheinander also, aber gelohnt hat es sich allemal!
Einige der Menschen dort habe ich innerhalb kürzester Zeit ins Herz geschlossen und ich werde mich vermutlich auch noch ein paar mal dort blicken lassen. Einmal war ich schon da. Zum 20. Jubiläum des Hauses wurde ein großes Sommerfest veranstaltet, welches ich mir natürlich nicht entgehen lassen konnte und Mitte Juli bin ich eingeladen worden, passend zu meinen Zukunftsplänen meine Kochkünste an typisch jüdischen Gerichten zu testen.
Mal sehen, ob dabei was Essbares rumkommt :)

Die Finanzen

Viele von Euch kennen mich vermutlich nicht nur persönlich, sondern sind vielleicht auch Teil meines Unterstützerkreises. Auf die zahlreichen großzügigen Spenden, vor allem denen aus der Evangelischen Gemeinde Brühl kann ich nur mit einem gestammelten, aber umso ehrlicherem 'DANKE' antworten. Ihr macht mir diese Erfahrung möglich und vor allem an Euch richtet sich dieser Blog. Ihr sollt wissen, wo euer Geld hingeht und was ich während meines Auslandsjahres so treibe.
Allen, die nicht wissen, wovon ich gerade schreibe, erkläre ich die Sachlage kurz. Bei meinem Projekt handelt es sich um ein von der rheinländischen Kirche organisiertes und größtenteils auch finanziertes Projekt.
Ich als Auslandsfreiwillige koste Geld, und das nicht zu knapp. Flüge müssen bezahlt, Versicherungen abgeschlossen und vor- sowie später auch nachbereitende Seminare organisiert werden. Hinzu kommt natürlich mein Aufenthalt im Gastland, sprich Kost und Logis und ein Taschengeld von etwa 100€ im Monat, wofür viele der Projekte nicht selber aufkommen können.

Einen großen Anteil der anfallenden Kosten übernimmt meine Entsendeorganisation, die Kirche selber, ein weiterer Teil wird durch staatliche Gelder gedeckt. Übrig bleiben etwa 1.800€, die jeder Freiwillige mit Hilfe eines Unterstützerkreises zusammenbringen soll. Hier werden keine Unterschiede gemacht, egal welches Projekt man besuchen wird, jeder von uns soll in etwa den gleichen Betrag 'erwirtschaften', auch wenn man als Freiwilliger in einem armen Land vielleicht mehr Kosten verursacht, als jemand der in einem finanziell stabilerem Projekt arbeitet. Das gespendete Geld wird entsprechend der Notwendigkeit auf die Freiwilligen und ihre Projekte verteilt.
Etwas anschaulicher und auch unterhaltsamer hat das Konrad in seinem YouTube-Video erklärt. Er war 2016/17 Freiwilliger in Rumänien und fasst sehr verständlich zusammen, wie sich die Finanzierung eines solchen Jahres gestaltet.
Wer mich spontan kurz vor oder während meines Auslandsjahres noch unterstützen möchte, kann mich gerne persönlich kontaktieren oder auf meiner GoFundMe-Page vorbeischauen. Ich freue mich über jede kleinste Spende, schließlich zeigt sie mir auch, dass Menschen gut finden, was ich tue und nicht nur mir sondern auch der EKiR und jedem der angekoppelten Projekte ihre Wertschätzung schenken wollen.

Was jetzt noch bis zum Abflug passiert 

Die letzten Vorbereitungen für diese Zeit laufen ziemlich genau zwei Monate vor Ausreise natürlich auf Hochtouren. Viele Sachen sind schon erledigt, die meisten Behördengänge habe ich bereits hinter mich gebracht und mein Visumsantrag ist mittlerweile auch abgesendet.
Im April war ich beim Vorebereitungsseminar in Solingen und im letzen Monat habe ich meine Hospiation absolviert, über die ich euch oben berichtet habe.
Ein Konto habe ich ebenfalls eingerichtet und mich bei der Elefand- Liste eingetragen, damit auch die deutschen Behörden wissen, dass ich im Ausland bin und im Krisenfall reagieren können. Alle wirklichen elementaren Dinge sind also geschafft und trotzdem wird mir manchmal echt flau im Magen, wenn ich an die hebräische Sprache denke, die in den letzten Monaten ein bisschen hinten anstellen musste und die ich daher im Moment nur bruchstückhaft beherrsche. Oder an all die Dinge, die ich noch gerne mit meinen Freunden unternehmen würde und für die kaum noch Termine übrig bleiben. Die Zeit rennt und das wird mir mit jedem Tag bewusster.

So viele Dinge schwirren mir im Kopf herum, von existenziellen Fragen bis hin zu den banalsten Kleinigkeiten. Werde ich Früh- oder Spätschicht arbeiten? Wie wird sich mein Zuhause verändern, während ich weg bin? Manchmal fällt es mir schwer zu verstehen, dass das Leben hier einfach ohne mich weiter gehen wird. Mit wem werde ich in einer WG leben? Wie werde ich mich mit meinen Mitbewohnern verstehen? Einige meiner Mitfreiwilligen habe ich ja schon kennengelernt, aber werden wir auch die gleiche WG beziehen und in der gleichen Schicht arbeiten? Wo kann man am besten den Abend ausklingen lassen und wo gibt es das beste Essen? Ich möchte unbedingt Surfen lernen, aber wird das überhaupt so funktionieren, wie ich mir das vorstelle - zeitlich und finanziell? Wie werden mein Freund und ich die Distanz vertragen? Die Liste ist lang...
Im August wird es noch ein zweiwöchiges Ausreiseseminar geben, in dem ich vielleicht noch ein paar Antworten erhalten werde, aber den Rest muss ich dann für mich selber herausfinden.

Bis dahin wünsche ich Euch allen angenehme Sommertage. Ich erprobe derzeit schonmal, wie man in solch drückender Hitze überlebt.
Mileen