Samstag, 21. September 2019

Die ersten zwei Wochen

Um es gleich vorweg zu nehmen, und um nichts zu beschönigen, auch wenn viele spannende, lustige und wunderschöne Dinge passiert sind: Die letzten zwei Wochen, meine ersten zwei Wochen in Israel waren unheimlich anstrengend. Es fühlt sich viel länger an als das, so unendlich viel ist passiert. Gleichzeitig scheint alles viel kürzer. Es ist unvorstellbar dass ich vor genau 14 Tagen zusammen mit meinen drei Mitfreiwilligen aus unserem Flieger gestiegen bin und wir von zwei Brasilianern zu unserem neuen Zuhause gebracht wurden, das wir uns zunächst mit einer Französin teilen würden. Ein Moldawier (auch wenn uns zunächst Glauben gemacht wurde, es handele sich um einen Russen) trug dabei unsere Koffer nach oben. Große Koffer waren es, denn keiner von uns konnte einschätzen, was genau auf uns zu kam. 
Hitze kam auf uns zu, soviel steht schonmal fest, und unglaublich viele Eindrücke, die jeden Tag meine Sinne fluten. 
Überall gibt es etwas neues zu sehen, zu riechen, zu lernen und zu organisieren, sodass mein Gehirn manchmal gar nicht mit der Verarbeitung hinterherkommt. 
Um dem Ganzen ein bisschen eine Form zu geben, werde ich deshalb versuchen, meine Erlebnisse in Unterpunkte zu unterteilen. 

Fangen wir mit der Wohnsituation an, denn schließlich war unser Apartment so ziemlich das erste, was wir von Israel zu sehen bekommen haben. 
Bis zum letzten Samstag haben wir uns die Wohnung mit Charlene, der oben erwähnten französischen Freiwilligen geteilt. Der Ankomm-Prozess wurde dadurch leider ein bisschen erschwert, da wir unsere eigentlichen Zimmer zunächst nicht beziehen konnten.
Das hat dazu geführt, dass Konstantin in einem Raum von der Größe von 1 1/2 Matratzen und ich abwechselnd auf einer Matratze auf dem Boden oder einer der etlichen Couches gepennt habe. 
Auch wenn das zwischenzeitlich etwas anstrengend wurde, haben wir alle wohlbehalten überlebt und können uns jetzt, ab dem letzten Shabbat so einrichten, wie es uns passt. Ob das so bleiben wird, wissen wir aber auch noch nicht genau, denn irgendwann, wird laut unserer Sozialarbeiterin irgendeine männliche Person eines uns unbekannten Alters, aus einem uns unbekannten Land zu uns stoßen und dann müssen wir noch einmal schauen, wie wir uns arrangieren. 
Ich für meinen Teil freue mich aber darauf, jemand Neuen in unsere Clique aufzunehmen. 
An der Wohnung selber habe ich schnell festgestellt, dass ich mich nicht mehr in Deutschland in meinem wohlbehüteten Zuhause befinde. Oder, wie es die Ehemaligen auf dem Ausreiseseminar in Solingen ausdrückten: ‘Eure jetzigen Standards könnt ihr da nicht erwarten.’ Wir waren also vorgewarnt. Wie viele Freiwilligen-Generationen das Apartment vor uns schon genutzt haben, weiß ich nicht genau, aber dass es einige gewesen sein müssen, sieht man ihm an. Graffitis zieren neben teils verruchten Stickern einige Fenster, sowie Türen und den Kühlschrank und das Mobiliar hat seine besten Tage zum Großteil bereits hinter sich gelassen. Was in den ersten Tagen für mich die Fremde in diesem Land verkörpert hat, macht mittlerweile den Charme der Wohnung aus, die Tag für Tag mehr zu meinem Zuhause wird und durch unsere Gestaltung und diverse Umräumaktionen einen persönlichen Touch bekommt. Ein Besuch bei Ikea durfte da -typisch deutsch- natürlich nicht fehlen und im nächsten Schritt ist geplant, Sofas und Wände mit bunten Tüchern auszustatten. 
Wir haben zudem ein paar lustige, aber auch ein paar eher unschöne Dinge gefunden, deren Details ich euch jetzt lieber erspare. Mit etwas Abstand sehe ich das jedoch nur noch halb so wild. Letztendlich, und auch wenn es etwas (okay, deutlich) länger dauert, als in Deutschland, lässt sich alles regeln und lösen. Und manche Probleme lösen sich auch ganz von alleine ;)

Tel Aviv ist groß. Tel Aviv ist laut. Tel Aviv ist voller Menschen. Und nicht nur Tel Aviv, sondern auch die Städte drumherum, zum Beispiel Petah Tikva, der Vorort in dem wir leben. Und um irgendwo hinzukommen, muss man Zeit einplanen. Viel Zeit. 
Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil: Wenn der Bus in die Innenstadt mal wieder im Stau feststeckt und so oder so alle 20 Meter an einer Haltestellen anhält (und das von null auf hundert und je nach Busfahrer ohne Rücksicht auf Verluste), ist man schlichtweg gezwungen, die Hektik, die man aus seinen alten Strukturen mitgebracht hat, abzulegen. Das Prinzip von ‘Zeit ist Geld’ funktioniert hier einfach nicht so gut, vor allem wenn man auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist. Aber irgendwie hat das auch etwas Entspannendes. Man kommt an, wenn man ankommt und sich ständig darüber Gedanken zu machen, dass man grad schon wieder unglaublich viel Zeit in eine Busfahrt investiert, führt absolut nirgendwo hin.
Der Nachteil: Manchmal mache ich es trotzdem, denn Zeit ist vielleicht nicht Geld, aber Zeit ist auf jeden Fall ‘Einen-Markt-entlang-bummeln’ und ‘Am-Strand-liegen’. Zeit sind Erlebnisse und zwei Stunden im Bus, sind zwei Stunden weniger das Leben draußen genießen. 
Glücklicherweise steht uns jetzt ein Fahrrad zur Verfügung und ob man es glaubt oder nicht, laut Google ist man damit je nach Strecke schneller am Ziel als mit dem Bus. Ob das stimmt, werden wir bestimmt in den nächsten Wochen noch herausfinden, aber die vielen Menschen auf ihren (Elektro-)Rädern und E-Rollern sprechen für sich.  


Täglich kurz vor 7 steigen wir aus dem Bus der Linie 49 aus, und laufen über einen großen Parkplatz zum Kfar Ofarim, ein ziemlich großes Gebäude, das Zuhause für über 70 Erwachsene mit Autismus ist. Zu dem Komplex gehört ein kleines Schwimmbad und ein Fitnessraum, die Wohnräume und das Day-Centre, in dem ich meine meiste Arbeitszeit verbringe.
Morgens helfe ich aber zunächst für etwa eine Stunde dabei, die Friends (oder Chawerim auf Hebräisch), wie die Bewohner genannt werden, auf ihren Tag vorzubereiten. Hier fällt es mir oft noch schwer, mich einzubringen, denn die Betreuer in dem Haus, in das ich eingeteilt wurde, sind ein eingespieltes Team und haben ihre gefestigte Routine, in die ich noch nicht so ganz reinpasse. 
Anders ist das dann im Cheder Lavan (im weißen Zimmer). Hier verbringe ich die restlichen sechs Stunden meiner Schicht zusammen mit zwei anderen Mitarbeitern und je nach Tag zwischen vier und neun Friends. Die Hauptbeschäftigung besteht daraus, kleine Bauteile für Elektronik zusammenzuschrauben und zu verpacken, aber natürlich sind nicht alle immer 100% zum arbeiten motiviert. Es bleibt also viel Raum, um andere Dinge zu tun, Zeit zum rumalbern und quatschen. Wir essen mit unseren Gruppenmitgliedern, helfen gelegentlich auch bei ihrer Arbeit aus, wenn etwas unbedingt fertig werden muss und manchmal schimpfen wir auch mit ihnen, zum Beispiel wenn Leah schon wieder einen Apfel aus dem Schrank geklaut hat, den sie eigentlich erst später kriegen sollte.
‘Besonders die kleinen Sachen bereiten sehr viel Freude, wenn man im Kfar arbeitet’, haben uns die Ehemaligen auf dem Ausreiseseminar gesagt. Für mich klang das nach einem schönen Satz aber richtig verbinden konnte ich mich damit nicht. Wenn jeder vor mir diese kleinen Dinge schon mal erlebt hat, es also ziemlich normal ist, dann ist es eben auch nicht mehr so besonders, dachte ich. Bis Yuval eines Nachmittags auf einmal im Flur steht, mich anschaut und völlig aus dem Nichts meinen Namen sagt. Davor war er immer total verzweifelt, wenn ich ihn wieder einmal fragte, wie ich heiße und er es nicht mehr sagen konnte. 
Bis Eran strahlend nach immer mehr Flaschen verlangt, von denen er das Label entfernen kann (das war die letzten paar Tage unsere Arbeit mit den Friends, hunderte von Flaschen wurden dann mit neuen Labels für ein Festival versehen), obwohl er eigentlich nie gerne arbeitet und der Guide meinte, er sei zu dieser Arbeit nicht im Stande.
Mehrere Einkaufswagen haben wir so mit entlabelten Wasserflaschen füllen können.

Doch, es sind die kleinen Dinge, die diesen Job bereits nach kurzer Zeit so unendlich erfüllend machen. Es ist ein Lächeln, ein hebräisches Wort, dass du zum ersten Mal verstehst, ein Friend, der deine Hand nimmt.
Es ist schlichtweg überwältigend und unmöglich zu beschreiben, was es mit mir macht, da zu sein. 
Klar, manchmal sitze ich auch rum und habe nichts zu tun, weil sich jeder in meiner Gruppe gerade mit sich selber beschäftigt und auch das ist okay. In solchen Momenten zücke ich dann meistens ein kleines Hebräisch- Wörterbuch und versuche, noch weiter in diese Welt vorzustoßen. Und auch das gelingt mir jeden Tag besser. Zudem eröffnen mir die Erfolge mit der Sprache einen umso besseren Zugang zu den Bewohnern, die nämlich fast alle nur Hebräisch verstehen. 
Es ist eine positive Aufwärtsspirale und ich freue mich im Moment wirklich jeden Tag darauf wieder ins Kfar zu gehen, um neue Dinge zu erleben und vor allem die Friends noch besser kennenzulernen. 

Ich kann euch natürlich nicht alles erzählen, denn der Trubel, der gerade mein Leben ist, bietet viel zu viele Geschichten und viel zu wenig Zeit, alles aufzuschreiben. Ich hoffe aber, ich habe ein paar Sachen abgedeckt, die spannend für euch sein könnten. Wenn euch aber bestimmte Dinge interessieren oder ihr Fragen zu meinem Leben hier habt, könnt ihr mich gerne anschreiben. 

Grüße nach Hause aus Petah Tikva,
Mileen :)

Montag, 1. Juli 2019

Was davor geschah...

 Worum geht's?

Bald ist es soweit! Im September startet die erste richtig große Reise meines Lebens. Wie die meisten von euch sicherlich schon wissen (und es sonst durch den Header dieses Blogs erfahren haben)  geht es für mich nach Israel, genau genommen nach Tel Aviv und noch genauer genommen nach Hamat haSharon, was etwas nördlich von Tel Aviv liegt.
Ein Jahr lang werde ich freiwillig in einem 'Home for Life' der Organisation ALUT (Israeli Society for Children and Adults with Autism) arbeiten. Im Kfar Ofarim, meiner künftigen Arbeitsstelle, wohnen etwa 70 erwachsene Menschen mit Autismus, aufgeteilt in Gruppen von sechs bis sieben Personen.
Meine Aufgabe wird es sein, eine dieser Grupppen in ihrem Alltag  zu begleiten. Ich werde die Bewohner wecken, sie, wenn nötig, bei ihrer Morgenroutine unterstützen, mit ihnen gemeinsam essen und mit ihnen ihre Freizeit gestalten. Wie genau alles ablaufen wird, was meine Aufgaben explizit sein werden und welche alltäglichen Herausforderungen auf mich zukommen, weiß ich natürlich selber noch nicht. Ich bekomme von allen Seiten her viele Fragen gestellt, die ich schlicht weg noch nicht beantworten kann, was sich hoffentlich im Verlaufe des Jahres ändern wird.
Dafür gibt es diesen Blog: Um allen Menschen, die zu Hause geblieben sind und mich unterstützen, ihre vielen Fragen zu beantworten und sie mitzunehmen ins heilige Land und ins Kfar.

Meine Entsendeorganisation

Natürlich habe ich mir das Projekt nicht auf eigene Faust ausgesucht. Den Rahmen für meinen Auslandsdienst schafft die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR). Im November 2018 habe ich mich dort mileen-typisch in letzter Minute beworben und es seit dem kein einziges Mal bereut. Die EKiR bietet neben meinem noch viele weitere Projekte weltweit an, in denen junge Menschen ihren Freiwilligen Friedensdienst verrichten können. Sie organisiert ein Vorbereitungs- und Ausreise-, aber auch ein Zwischen- und Rückkehrerseminar und kümmert sich um den ersten Kontakt ins Projekt, sowie die Versicherung.

Besonders wichtig für mich ist allerdings, dass hinter diesen neutralen Begriffen ein unheimlich enagiertes Team steht, bestehend aus zwei Hauptberuflern und einer Menge ehrenamtlichen Ehemaligen, die uns Newbies Fragen beantworten und Sorgen nehmen, ohne zu viel zu verraten.
Entscheidend sind natürlich auch die gemeinsamen Werte.
Wofür das Entsendeprogramm der EKiR steht könnt ihr hier nachlesen, ergibt sich aber zu großen Teilen schon aus dem Namen, dem sie ihrem Dienst gegeben haben, 'Freiwilliger Friedensdienst'.
Wobei Frieden vor allem für ein verständnisvolles, interkulturelles und menschliches Miteinander steht und als Prozess verstanden wird, den jeder aktiv  (mit-) gestalten kann. Und genau das habe ich im kommenden Jahr vor. Was uns zum nächsten Punkt bringt...

Wieso ein FFD? Und wieso Israel? 

Die Motive jedes Freiwilligen sind vermutlich so zahlreich wie Häuser im Bauhaus- Stil in Tel Aviv. Zumeist lässt sich das Ganze jedoch in die Kategorien 'Persönlicher Nutzen' und 'Gesellschaftlicher Nutzen' unterteilen.
Ich als internationale Freiwillige möchte natürlich etwas zur globalen Gesellschaft beitragen, ich möchte Wandel zum Positiven bewirken und mir ist bewusst, dass das im kleinen Rahmen anfängt. In meiner Bewerbung bei der EKiR habe ich geschrieben 'Ich weiß, dass ich in diesem Jahr nicht die Welt oder das Land bzw. die Stadt verändern werde, in die ich reise. Trotzdem möchte ich mithelfen, zuhören und unterstützen. Ich glaube, in einer Welt in der viele alleine stehen, ist es manchmal das Wichtigste einfach da zu sein und zu zeigen, dass der Andere eben doch nicht alleine ist' und diese Worte bringen es für mich immer noch ziemlich genau auf den Punkt.
Veränderung fängt bei den unscheinbaren Dingen an und in einem weltweiten Kontext betrachtet ist dieser FFD sicherlich unscheinbar. Aber für mich ist er es nicht. Und für die Menschen, denen ich meine Arbeitskraft widme, wird er es hoffentlich auch nicht sein.

Warum aber nicht in Deutschland? Immer mehr FSJ- Stellen bleiben auch im Inland unbesetzt, warum also ins Ausland? Hier beginnt der Aspekt 'Persönliches Wachstum durch kulturellen Austausch'. Schon lange treibt mich der Wunsch um, nach der Schule über den mysteriösen Tellerrand zu blicken, von dem immer alle sprechen. Was liegt eigentlich auf der anderen Seite der Erdkugel? Wie gestaltet sich das Leben dort? Ist schwerer oder unbeschwerter?
Ich möchte nicht nur durch meine Aufgaben im Projekt dazu lernen, sondern auch durch die Erfahrung, ein Jahr in einem fremdem Land mehr oder weniger auf mich selbst gestellt zu sein. Ich möchte mehr über mich selber lernen, ungeahnte Fähigkeiten entdecken genauso wie persönliche Grenzen testen, und manchmal treibt einen das in die Ferne. Möglichst weit weg von zu Hause, um die Frage zu beantworten:
Wer bin ich eigentlich, wenn nichts um mich herum so ist, wie ich es gewohnt bin. Für mich geht es darum, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, neue Herausforderungen anzunehmen, neue Menschen kennenzulernen und dadurch neue Blickwinkel zu erlangen.
Dass EKiR mir letztendich das Projekt in Israel angeboten hat und mich nicht etwa, wie ich es mir zu Beginn gewünscht habe, nach Lateinamerika schickt, macht es für mich noch spannender. Auch mein Arbeitsfeld hätte ich mir vor ein paar Monaten so noch gar nicht denken können, zu groß war die Berührungsangst mit Menschen mit Behinderung. Hier liegt für mich also die erste Überschreitung innerer Grenzen, der erste Schritt ins Unbekannte, dem ich mich nun, vor allem nach meiner Hospitiation im Behindertenwohnhaus Brühl gewachsen sehe und aufgeregt entgegenschaue.

Meine Zeit im BWH

Um schon mal ein paar Einblicke zu erhaschen, und uns darauf vorzubereiten, was in unserem Projekt auf uns zu kommt, musste sich jeder der Freiwilligen eine Hospitationsstelle in einer Einrichtung suchen, die ungefähr dem künftigem Aufgabengebiet entspricht.
Nach einigem Hin und Her mit dem örtlichen Autismuszentrum fiel meine Wahl dann doch auf das Behindertenwohnhaus in meiner Stadt und ich bin unendlich glücklich mit dieser Entscheidung, was jeder meiner Freunde und Verwandten bestätigen kann, der sich meine begeisterten Erzählungen anhören musste. Es war meine erste Erfahrung im Arbeitsfeld Behinderung, denn auch privat habe ich keine Vorerfahrungen. Dementsprechend nervös war ich auch, als ich am ersten Tag am Wohnhaus ankam. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wie ich mich in gewissen Situationen zu verhalten hatte und was passieren würde. Würde ich mit den  Bewohnern zurecht kommen? Würde ich mich nützlich machen können?
Doch die ganze Nersosität stellte sich als völlig unnötig heraus. Direkt am ersten Tag wurde ich von Bewohnern wie Betreuern herzlich begrüßt und sofort in den Alltag mit eingebunden. Ich durfte Essen reichen, die Freizeit mit den Bewohnern verbringen und einer Abendroutine beiwohnen. Von allen Seiten bekam ich das Gleiche zu hören: 'Wie, du bleibst nur fünf Tage? Das ist doch viel zu kurz!'.
Und sie sollten recht behalten. Einen guten Eindruck von dem Geschehen in so einer Einrichtung habe ich zwar bekommen, aber viel zu wenig Zeit war es trotzdem, um alle richtig kennenzulernen, und das, obwohl ich noch einen Tag hinten dran gehangen haben. Da ging es nämlich mit sechs der Bewohnern zu den Karl-May-Festspielen in Elspe. Mit drei Rollstuhlfahrern auf dem steilen Gelände durch die Menschenmassen zu manövrieren war echt eine Herausforderung und als wir die Rückfahrt antreten wollten stellten wir auch noch fest, dass einer unserer Busse einen platten Reifen hatte. Viel Durcheinander also, aber gelohnt hat es sich allemal!
Einige der Menschen dort habe ich innerhalb kürzester Zeit ins Herz geschlossen und ich werde mich vermutlich auch noch ein paar mal dort blicken lassen. Einmal war ich schon da. Zum 20. Jubiläum des Hauses wurde ein großes Sommerfest veranstaltet, welches ich mir natürlich nicht entgehen lassen konnte und Mitte Juli bin ich eingeladen worden, passend zu meinen Zukunftsplänen meine Kochkünste an typisch jüdischen Gerichten zu testen.
Mal sehen, ob dabei was Essbares rumkommt :)

Die Finanzen

Viele von Euch kennen mich vermutlich nicht nur persönlich, sondern sind vielleicht auch Teil meines Unterstützerkreises. Auf die zahlreichen großzügigen Spenden, vor allem denen aus der Evangelischen Gemeinde Brühl kann ich nur mit einem gestammelten, aber umso ehrlicherem 'DANKE' antworten. Ihr macht mir diese Erfahrung möglich und vor allem an Euch richtet sich dieser Blog. Ihr sollt wissen, wo euer Geld hingeht und was ich während meines Auslandsjahres so treibe.
Allen, die nicht wissen, wovon ich gerade schreibe, erkläre ich die Sachlage kurz. Bei meinem Projekt handelt es sich um ein von der rheinländischen Kirche organisiertes und größtenteils auch finanziertes Projekt.
Ich als Auslandsfreiwillige koste Geld, und das nicht zu knapp. Flüge müssen bezahlt, Versicherungen abgeschlossen und vor- sowie später auch nachbereitende Seminare organisiert werden. Hinzu kommt natürlich mein Aufenthalt im Gastland, sprich Kost und Logis und ein Taschengeld von etwa 100€ im Monat, wofür viele der Projekte nicht selber aufkommen können.

Einen großen Anteil der anfallenden Kosten übernimmt meine Entsendeorganisation, die Kirche selber, ein weiterer Teil wird durch staatliche Gelder gedeckt. Übrig bleiben etwa 1.800€, die jeder Freiwillige mit Hilfe eines Unterstützerkreises zusammenbringen soll. Hier werden keine Unterschiede gemacht, egal welches Projekt man besuchen wird, jeder von uns soll in etwa den gleichen Betrag 'erwirtschaften', auch wenn man als Freiwilliger in einem armen Land vielleicht mehr Kosten verursacht, als jemand der in einem finanziell stabilerem Projekt arbeitet. Das gespendete Geld wird entsprechend der Notwendigkeit auf die Freiwilligen und ihre Projekte verteilt.
Etwas anschaulicher und auch unterhaltsamer hat das Konrad in seinem YouTube-Video erklärt. Er war 2016/17 Freiwilliger in Rumänien und fasst sehr verständlich zusammen, wie sich die Finanzierung eines solchen Jahres gestaltet.
Wer mich spontan kurz vor oder während meines Auslandsjahres noch unterstützen möchte, kann mich gerne persönlich kontaktieren oder auf meiner GoFundMe-Page vorbeischauen. Ich freue mich über jede kleinste Spende, schließlich zeigt sie mir auch, dass Menschen gut finden, was ich tue und nicht nur mir sondern auch der EKiR und jedem der angekoppelten Projekte ihre Wertschätzung schenken wollen.

Was jetzt noch bis zum Abflug passiert 

Die letzten Vorbereitungen für diese Zeit laufen ziemlich genau zwei Monate vor Ausreise natürlich auf Hochtouren. Viele Sachen sind schon erledigt, die meisten Behördengänge habe ich bereits hinter mich gebracht und mein Visumsantrag ist mittlerweile auch abgesendet.
Im April war ich beim Vorebereitungsseminar in Solingen und im letzen Monat habe ich meine Hospiation absolviert, über die ich euch oben berichtet habe.
Ein Konto habe ich ebenfalls eingerichtet und mich bei der Elefand- Liste eingetragen, damit auch die deutschen Behörden wissen, dass ich im Ausland bin und im Krisenfall reagieren können. Alle wirklichen elementaren Dinge sind also geschafft und trotzdem wird mir manchmal echt flau im Magen, wenn ich an die hebräische Sprache denke, die in den letzten Monaten ein bisschen hinten anstellen musste und die ich daher im Moment nur bruchstückhaft beherrsche. Oder an all die Dinge, die ich noch gerne mit meinen Freunden unternehmen würde und für die kaum noch Termine übrig bleiben. Die Zeit rennt und das wird mir mit jedem Tag bewusster.

So viele Dinge schwirren mir im Kopf herum, von existenziellen Fragen bis hin zu den banalsten Kleinigkeiten. Werde ich Früh- oder Spätschicht arbeiten? Wie wird sich mein Zuhause verändern, während ich weg bin? Manchmal fällt es mir schwer zu verstehen, dass das Leben hier einfach ohne mich weiter gehen wird. Mit wem werde ich in einer WG leben? Wie werde ich mich mit meinen Mitbewohnern verstehen? Einige meiner Mitfreiwilligen habe ich ja schon kennengelernt, aber werden wir auch die gleiche WG beziehen und in der gleichen Schicht arbeiten? Wo kann man am besten den Abend ausklingen lassen und wo gibt es das beste Essen? Ich möchte unbedingt Surfen lernen, aber wird das überhaupt so funktionieren, wie ich mir das vorstelle - zeitlich und finanziell? Wie werden mein Freund und ich die Distanz vertragen? Die Liste ist lang...
Im August wird es noch ein zweiwöchiges Ausreiseseminar geben, in dem ich vielleicht noch ein paar Antworten erhalten werde, aber den Rest muss ich dann für mich selber herausfinden.

Bis dahin wünsche ich Euch allen angenehme Sommertage. Ich erprobe derzeit schonmal, wie man in solch drückender Hitze überlebt.
Mileen