Samstag, 21. September 2019

Die ersten zwei Wochen

Um es gleich vorweg zu nehmen, und um nichts zu beschönigen, auch wenn viele spannende, lustige und wunderschöne Dinge passiert sind: Die letzten zwei Wochen, meine ersten zwei Wochen in Israel waren unheimlich anstrengend. Es fühlt sich viel länger an als das, so unendlich viel ist passiert. Gleichzeitig scheint alles viel kürzer. Es ist unvorstellbar dass ich vor genau 14 Tagen zusammen mit meinen drei Mitfreiwilligen aus unserem Flieger gestiegen bin und wir von zwei Brasilianern zu unserem neuen Zuhause gebracht wurden, das wir uns zunächst mit einer Französin teilen würden. Ein Moldawier (auch wenn uns zunächst Glauben gemacht wurde, es handele sich um einen Russen) trug dabei unsere Koffer nach oben. Große Koffer waren es, denn keiner von uns konnte einschätzen, was genau auf uns zu kam. 
Hitze kam auf uns zu, soviel steht schonmal fest, und unglaublich viele Eindrücke, die jeden Tag meine Sinne fluten. 
Überall gibt es etwas neues zu sehen, zu riechen, zu lernen und zu organisieren, sodass mein Gehirn manchmal gar nicht mit der Verarbeitung hinterherkommt. 
Um dem Ganzen ein bisschen eine Form zu geben, werde ich deshalb versuchen, meine Erlebnisse in Unterpunkte zu unterteilen. 

Fangen wir mit der Wohnsituation an, denn schließlich war unser Apartment so ziemlich das erste, was wir von Israel zu sehen bekommen haben. 
Bis zum letzten Samstag haben wir uns die Wohnung mit Charlene, der oben erwähnten französischen Freiwilligen geteilt. Der Ankomm-Prozess wurde dadurch leider ein bisschen erschwert, da wir unsere eigentlichen Zimmer zunächst nicht beziehen konnten.
Das hat dazu geführt, dass Konstantin in einem Raum von der Größe von 1 1/2 Matratzen und ich abwechselnd auf einer Matratze auf dem Boden oder einer der etlichen Couches gepennt habe. 
Auch wenn das zwischenzeitlich etwas anstrengend wurde, haben wir alle wohlbehalten überlebt und können uns jetzt, ab dem letzten Shabbat so einrichten, wie es uns passt. Ob das so bleiben wird, wissen wir aber auch noch nicht genau, denn irgendwann, wird laut unserer Sozialarbeiterin irgendeine männliche Person eines uns unbekannten Alters, aus einem uns unbekannten Land zu uns stoßen und dann müssen wir noch einmal schauen, wie wir uns arrangieren. 
Ich für meinen Teil freue mich aber darauf, jemand Neuen in unsere Clique aufzunehmen. 
An der Wohnung selber habe ich schnell festgestellt, dass ich mich nicht mehr in Deutschland in meinem wohlbehüteten Zuhause befinde. Oder, wie es die Ehemaligen auf dem Ausreiseseminar in Solingen ausdrückten: ‘Eure jetzigen Standards könnt ihr da nicht erwarten.’ Wir waren also vorgewarnt. Wie viele Freiwilligen-Generationen das Apartment vor uns schon genutzt haben, weiß ich nicht genau, aber dass es einige gewesen sein müssen, sieht man ihm an. Graffitis zieren neben teils verruchten Stickern einige Fenster, sowie Türen und den Kühlschrank und das Mobiliar hat seine besten Tage zum Großteil bereits hinter sich gelassen. Was in den ersten Tagen für mich die Fremde in diesem Land verkörpert hat, macht mittlerweile den Charme der Wohnung aus, die Tag für Tag mehr zu meinem Zuhause wird und durch unsere Gestaltung und diverse Umräumaktionen einen persönlichen Touch bekommt. Ein Besuch bei Ikea durfte da -typisch deutsch- natürlich nicht fehlen und im nächsten Schritt ist geplant, Sofas und Wände mit bunten Tüchern auszustatten. 
Wir haben zudem ein paar lustige, aber auch ein paar eher unschöne Dinge gefunden, deren Details ich euch jetzt lieber erspare. Mit etwas Abstand sehe ich das jedoch nur noch halb so wild. Letztendlich, und auch wenn es etwas (okay, deutlich) länger dauert, als in Deutschland, lässt sich alles regeln und lösen. Und manche Probleme lösen sich auch ganz von alleine ;)

Tel Aviv ist groß. Tel Aviv ist laut. Tel Aviv ist voller Menschen. Und nicht nur Tel Aviv, sondern auch die Städte drumherum, zum Beispiel Petah Tikva, der Vorort in dem wir leben. Und um irgendwo hinzukommen, muss man Zeit einplanen. Viel Zeit. 
Das hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil: Wenn der Bus in die Innenstadt mal wieder im Stau feststeckt und so oder so alle 20 Meter an einer Haltestellen anhält (und das von null auf hundert und je nach Busfahrer ohne Rücksicht auf Verluste), ist man schlichtweg gezwungen, die Hektik, die man aus seinen alten Strukturen mitgebracht hat, abzulegen. Das Prinzip von ‘Zeit ist Geld’ funktioniert hier einfach nicht so gut, vor allem wenn man auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen ist. Aber irgendwie hat das auch etwas Entspannendes. Man kommt an, wenn man ankommt und sich ständig darüber Gedanken zu machen, dass man grad schon wieder unglaublich viel Zeit in eine Busfahrt investiert, führt absolut nirgendwo hin.
Der Nachteil: Manchmal mache ich es trotzdem, denn Zeit ist vielleicht nicht Geld, aber Zeit ist auf jeden Fall ‘Einen-Markt-entlang-bummeln’ und ‘Am-Strand-liegen’. Zeit sind Erlebnisse und zwei Stunden im Bus, sind zwei Stunden weniger das Leben draußen genießen. 
Glücklicherweise steht uns jetzt ein Fahrrad zur Verfügung und ob man es glaubt oder nicht, laut Google ist man damit je nach Strecke schneller am Ziel als mit dem Bus. Ob das stimmt, werden wir bestimmt in den nächsten Wochen noch herausfinden, aber die vielen Menschen auf ihren (Elektro-)Rädern und E-Rollern sprechen für sich.  


Täglich kurz vor 7 steigen wir aus dem Bus der Linie 49 aus, und laufen über einen großen Parkplatz zum Kfar Ofarim, ein ziemlich großes Gebäude, das Zuhause für über 70 Erwachsene mit Autismus ist. Zu dem Komplex gehört ein kleines Schwimmbad und ein Fitnessraum, die Wohnräume und das Day-Centre, in dem ich meine meiste Arbeitszeit verbringe.
Morgens helfe ich aber zunächst für etwa eine Stunde dabei, die Friends (oder Chawerim auf Hebräisch), wie die Bewohner genannt werden, auf ihren Tag vorzubereiten. Hier fällt es mir oft noch schwer, mich einzubringen, denn die Betreuer in dem Haus, in das ich eingeteilt wurde, sind ein eingespieltes Team und haben ihre gefestigte Routine, in die ich noch nicht so ganz reinpasse. 
Anders ist das dann im Cheder Lavan (im weißen Zimmer). Hier verbringe ich die restlichen sechs Stunden meiner Schicht zusammen mit zwei anderen Mitarbeitern und je nach Tag zwischen vier und neun Friends. Die Hauptbeschäftigung besteht daraus, kleine Bauteile für Elektronik zusammenzuschrauben und zu verpacken, aber natürlich sind nicht alle immer 100% zum arbeiten motiviert. Es bleibt also viel Raum, um andere Dinge zu tun, Zeit zum rumalbern und quatschen. Wir essen mit unseren Gruppenmitgliedern, helfen gelegentlich auch bei ihrer Arbeit aus, wenn etwas unbedingt fertig werden muss und manchmal schimpfen wir auch mit ihnen, zum Beispiel wenn Leah schon wieder einen Apfel aus dem Schrank geklaut hat, den sie eigentlich erst später kriegen sollte.
‘Besonders die kleinen Sachen bereiten sehr viel Freude, wenn man im Kfar arbeitet’, haben uns die Ehemaligen auf dem Ausreiseseminar gesagt. Für mich klang das nach einem schönen Satz aber richtig verbinden konnte ich mich damit nicht. Wenn jeder vor mir diese kleinen Dinge schon mal erlebt hat, es also ziemlich normal ist, dann ist es eben auch nicht mehr so besonders, dachte ich. Bis Yuval eines Nachmittags auf einmal im Flur steht, mich anschaut und völlig aus dem Nichts meinen Namen sagt. Davor war er immer total verzweifelt, wenn ich ihn wieder einmal fragte, wie ich heiße und er es nicht mehr sagen konnte. 
Bis Eran strahlend nach immer mehr Flaschen verlangt, von denen er das Label entfernen kann (das war die letzten paar Tage unsere Arbeit mit den Friends, hunderte von Flaschen wurden dann mit neuen Labels für ein Festival versehen), obwohl er eigentlich nie gerne arbeitet und der Guide meinte, er sei zu dieser Arbeit nicht im Stande.
Mehrere Einkaufswagen haben wir so mit entlabelten Wasserflaschen füllen können.

Doch, es sind die kleinen Dinge, die diesen Job bereits nach kurzer Zeit so unendlich erfüllend machen. Es ist ein Lächeln, ein hebräisches Wort, dass du zum ersten Mal verstehst, ein Friend, der deine Hand nimmt.
Es ist schlichtweg überwältigend und unmöglich zu beschreiben, was es mit mir macht, da zu sein. 
Klar, manchmal sitze ich auch rum und habe nichts zu tun, weil sich jeder in meiner Gruppe gerade mit sich selber beschäftigt und auch das ist okay. In solchen Momenten zücke ich dann meistens ein kleines Hebräisch- Wörterbuch und versuche, noch weiter in diese Welt vorzustoßen. Und auch das gelingt mir jeden Tag besser. Zudem eröffnen mir die Erfolge mit der Sprache einen umso besseren Zugang zu den Bewohnern, die nämlich fast alle nur Hebräisch verstehen. 
Es ist eine positive Aufwärtsspirale und ich freue mich im Moment wirklich jeden Tag darauf wieder ins Kfar zu gehen, um neue Dinge zu erleben und vor allem die Friends noch besser kennenzulernen. 

Ich kann euch natürlich nicht alles erzählen, denn der Trubel, der gerade mein Leben ist, bietet viel zu viele Geschichten und viel zu wenig Zeit, alles aufzuschreiben. Ich hoffe aber, ich habe ein paar Sachen abgedeckt, die spannend für euch sein könnten. Wenn euch aber bestimmte Dinge interessieren oder ihr Fragen zu meinem Leben hier habt, könnt ihr mich gerne anschreiben. 

Grüße nach Hause aus Petah Tikva,
Mileen :)

1 Kommentar:

  1. Hallo Mileen, es ist schön von Dir zu lesen. Wenn wir auch manchmal telefonieren, ist es trotzdem noch was anderes zu lesen, wie Du Dich in Deinem Leben zurecht findest. Ich vermisse Dich immer noch jeden Tag, mir graut es schon vor Weihnachten und ich freue mich sooo sehr auf nächstes
    Jahr Februar. Fühle Dich 1000x umarmt 😘😘😘 Deine Mama

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